Ein Plädoyer für insektenfreundliche Blumenkästen
2012 schrieb „Der Kleingartenphilosoph“ Thomas Kernert über Geranien und Bayern: „Der Lieblingsaufenthaltsort der Geranie ist fast ganzjährig der Outdoor-Blumenkasten. Der Grund: Im Blumenkasten befindet sie sich stets in der ersten Reihe. Hier strahlt ihr Lächeln über alle Dorf- und Parkplätze hinweg. Der Bayer seinerseits mag diese Blumenkastenblume u.a. deshalb so gern, weil sie ihm das Grinsen abnimmt. Im Umkreis einer Geranie kann er sein, was und wie er ist: ein Stinkstiefel, ein Misanthrop, ein ewiger Nörgler. Keiner sieht es, keiner bemerkt es, keiner stört sich daran. Allein das florale Lächeln der Geranie beherrscht die Szene. Wenn je ein Gast den bayerischen Charakter als freundlich und zuvorkommend empfunden haben sollte, so kann dies nur der Geranie geschuldet sein.“
„Geranienland“ habe ich als hessisches Kind auf Fernreisen im Alpenraum genau so kennengelernt. Knurrige Menschen und überall diese Massen an „kitschigen“ rosablühenden Geranien. Wer alt genug ist weiß, dass „rosa“ in den Siebzigern für eine emanzipierte Achtjährige einfach nur verachtenswert war. Damals hatte ich natürlich noch überhaupt keine Ahnung davon, dass ich später mal Biologin werden würde, eine von der Feld-, Wald- und Wiesen-Sorte, die sich für Ökologie und das Zusammenspiel der Natur begeistern würde. Wir Menschen (zer-)stören dieses Zusammenspiel oft achtlos und unnötig. Lange Zeit wussten wir es nicht besser. Aber heutzutage gibt es keine Ausflüchte mehr, die Karten liegen auf dem Tisch, das Artensterben muss gebremst werden, wenn wir Menschen weiterhin so bequem auf diesem Planeten dahinleben wollen. Wer das verstanden hat und jetzt voller Tatendrang für Blüten auf Balkon und Terrasse sorgen will, dem sei aber von Geranien dringend abgeraten.
Kernert schrieb 2012 weiter: „Nein, sie hat nicht den Adel einer Rose. Und nein, sie hat nicht die Coolness einer Tulpe. Und nein, auch im Exotikbereich erreicht sie keine Topwerte. Obgleich üppig und farbig und hübsch anzuschauen, ist sie weder femme fatale, noch Luder, noch Naomi Campbell. Ihre Stärke ist das Lächeln: Geranien sind Grinse-Blumen. Wohin man in Bayern auch kommt, sie sind bereits da und grinsen einen an: in rot, gelb, lila, zweifarbig, mosaikfarbig, kelchblättrig, stets freundlich wie Hotelangestellte, Versicherungsvertreter, Pressesprecher und andere Bauchredner. Musikalisch klingen sie in etwa wie Marianne und Michael.“ Den Seitenhieb auf Marianne und Michael fand ich zu lustig, um ihn nicht mit zu zitieren. Das wirklich hinterlistige an der Grinseblume verbirgt sich aber im Satz davor. Wie andere „Bauchredner“ geben Geranien etwas vor zu sein, was sie nicht sind – eine Nahrungsquelle für Insekten.
Das Zusammenspiel der Natur, Nahrung gegen Bestäubung, funktioniert nicht mit ihnen. Das neue Zusammenspiel heißt Blütenfülle gegen Stecklingsvermehrung und wird von uns Menschen mit den Geranien betrieben. Aber nicht nur mit Geranien, sondern auch mit Fuchsien, Petunien, Begonien und überhaupt Pflanzen mit gefüllten Blüten, die dadurch entstehen, dass die Staubbeutel zu Blütenblättern „umgezüchtet“ werden. Solche Blüten sind steril und bieten Insekten wenig bis nichts mehr. Wozu auch? Die Menschen übernehmen ja auch die Vermehrung. Blöd nur, dass so beliebte Tiere wie Eidechsen, Igel oder Rotkehlchen von Insekten leben und nicht von Menschen. Blöd auch, dass diese Menschen wahrscheinlich a) keine Lust haben unsere Kulturpflanzen wie z.B. Obstbäume, zu bestäuben und es b) wahrscheinlich auch gar nicht so gut machen würden. Das sind schon zwei sehr gewichtige Argumente, um seinen Musikgeschmack weiterzuentwickeln und nicht bei Marianne und Michael stehen zu bleiben.
Der Appell heißt also: dieses Jahr keine Geranien in die Blumenkästen!
Und auch keine anderen Blumen, die den Insekten und auch uns Menschen nur vorgaukeln, dass in blühenden Gärten die Welt noch in Ordnung ist. Stattdessen gibt es eine Fülle an Pflanzen, die schön aussehen und dabei auch noch das Zusammenspiel mit den Insekten beherrschen und diese auch ernähren. Wer jetzt sagt, wenn schon – denn schon und keine halben Sachen, der kann sich gleich überlegen, einheimische Stauden und Blumen zu wählen.
Wir sind diesen Schritt im letzten Jahr gegangen und haben die Kästen an unserem Süd-West Balkon komplett mit einer einheimischen Dauerbepflanzung ausgestattet. Schon im ersten Jahr sah es gut aus und wurde auch gut angenommen. Und in diesem Frühling zeigten sich ganz ohne unser Zutun Küchenschelle, Krokusse und Träubelhyazinthen. Jetzt gerade gesellen sich Seifenkraut und Goldlack dazu.
Restlos überzeugt hatte uns letztes Jahr der „Wildnisbalkon“ von Rosi und Victor, den man sich auf der Webseite des LBV FFB anschauen und auf Instagram verfolgen kann. Dazu gibt es ausführliche Praxistipps und Pflanzvorschläge mitsamt Video. Man kann sofort loslegen.
Weitere Inspirationen und Tipps gibt es z.B. hier:
https://bluehende-landschaft.de/wildpflanzen-vs-zierpflanzen-ist-jede-blute-insektenfreundlich/
https://naturwerk.info/fileadmin/user_upload/balkonpflanzen.pdf
https://www.naturgartenfreude.de/naturgartenbalkon/pflanzenarten/
Es kann so einfach sein und es wäre schön, wenn es auch einfach wieder selbstverständlich wäre, dass wir unsere Gärten als Lebensräume gestalten. Wie heißt es so schön: